Sie sind neu in den Verwaltungsrat der Herzog Kull Group Holding gewählt worden – wo sehen Sie als ETH Dozent für ein Elektro-Ingenieurbüro Chancen in der disruptiven digitalen Zukunft?
Die Chancen liegen klar in der Verbindung von Strom und Information. Zum Beispiel bei der erneuerbaren Energieerzeugung: Zukünftige Gebäude werden mit Strom betrieben werden, der selbst erzeugt, gespeichert, ins Netz gespeist oder mit anderen Gebäuden «gehandelt» wird. Neben der Bereitstellung der notwendigen Installationen gilt es, die ökologischen und ökonomischen Opportunitäten zu erkennen und entsprechend zu nutzen. Konkret: Wann ist es sinnvoll, eine Stromquelle für eine bestimmte Anwendung zu nutzen, wie sollen die Speicher bewirtschaftet werden, etc.. Diese Entscheidungen beruhen auf Daten verschiedener Herkunft, aus denen Information gewonnen werden können. Ein zweiter Bereich ist das «Smart Building», die optimale Regelung der verschiedenen Verbraucher im Gebäude mit dem Ziel der Effizienz und des Nutzerkomforts. Ein Elektro-Ingenieurbüro ist durch sein Fachwissen bereits nahe dran und kann darauf gut aufbauen.
Welches sind die grossen künftigen Anforderungen an einen Elektroplaner?
Zukünftige, effiziente Systeme der Gebäudetechnik sind gewerk- und massstabsübergreifend, verbinden z.B. Strom und Wärme auf Gebäude- und Distriktebene. Der zukünftige Planer muss anspruchsvollere Systeme verstehen und mit digitalen Werkzeugen planen können. Hierzu braucht es Schnittstellenwissen zu den anderen Gewerken, z.B. zur Architekturplanung und HLK. Der Bereich Informationstechnologie und Automation wird einen grösseren Stellenwert bekommen.
Was muss sich an unserer Ausbildung ändern, um den zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein?
Für viele Bereiche gilt: Es wird nicht mehr ausreichend sein, sich «nur» ein spezifisches Fachwissen anzueignen. Insbesondere im Bereich Informationstechnologie entwickeln sich die Dinge schnell, so dass davon auszugehen ist, dass wir uns in regelmässigen Abständen anspruchsvolle, neue Dinge aneignen müssen. Diese Fähigkeit muss ebenfalls in der Ausbildung auf verschiedenen Stufen trainiert werden. An der ETH bilden wir im Studiengang «Master of Integrated Building Systems» Studierende aus den Architektur- und Ingenieurwissenschaften aus, mit dem Ziel, neben den Spezialisten der Fachdisziplinen einen gesamtheitlichen, interdisziplinären Blick mit einzubringen, der es ermöglicht, übergreifende Konzepte und Lösungen zu entwickeln. Digitale Methoden z.B. der Modellierung bieten hier grosse Potentiale.
Welche Rolle spielt die Gebäudeenergie mit Blick auf die gesamte Energiezukunft?
Gebäude spielen eine wesentliche Rolle. Im Vergleich zu anderen Sektoren gelingt es uns bei Gebäuden relativ einfach, den Energieverbrauch zu verringern und den Anteil an erneuerbarer Energieträgern zu erhöhen, z.B. durch Erdwärme und Solarenergie. Die Technologie ist vorhanden, auf dem Markt erhältlich und kann wirtschaftlich eingesetzt werden. Das notwendige Wissen ist grundsätzlich da, allerdings noch nicht durchgängig bei den verschiedenen Akteuren im Markt verbreitet. Auch entsprechen die Gebäude in ihrer tatsächlichen Energiebilanz oft nicht der Planung, Stichwort «performance gap». Daran müssen wir von verschiedenen Seiten arbeiten.
Wo steht die Schweiz in Sachen Innovation Gebäudetechnik im internationalen Vergleich?
In der Schweiz gibt es ein Bewusstsein für Qualität in der Planung und Ausführung. Viele öffentliche und private Bauherren in der Schweiz sind zudem in der Lage, die derzeit noch höheren Kosten zu tragen, die effizientere und nachhaltigere Systeme benötigen. Und nicht zu vergessen: Es gibt immer wieder innovative Bauherren, die bereit sind, neue Lösungen auszuprobieren und neues Terrain zu betreten.
Wo sehen Sie die Verbindung zwischen Ihrer Tätigkeit in der Forschung und der Arbeit der HKG?
Auch für uns ist es wichtig zu verstehen, in welche Richtung sich die Praxis entwickelt, welches die Herausforderungen sind, nicht zuletzt da wir Studierende für den zukünftigen Arbeitsmarkt ausbilden. Umgekehrt können wir neue Erkenntnisse der Forschung diskutieren und wertvolle Rückmeldungen, z.B. zur Anwendbarkeit erhalten. Auch wir wollen ja nicht nur «Papier produzieren» sondern mit unserer Arbeit helfen, die Energiezukunft mitzugestalten. Dafür braucht es den Dialog mit innovativen Unternehmen aus der Praxis.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
(Interview: Marc Herzog, Verantwortlicher Kommunikation, PR und Marketing, HKG)